«Veränderung muss Spass machen und insgesamt eine positive Erfahrung sein.» Interview mit Prof. Dr. Armando Perez-Cueto
HealthFerm ist in verschiedene Arbeitspakete unterteilt. Bei Ihnen geht es um die Akzeptanz durch die Verbraucher:innen. Können Sie mir etwas über Ihre Arbeit erzählen und was Ihre spezifische Rolle innerhalb des gesamten Projekts ist?
Prof. Dr. Armando Perez-Cueto: Von den vier Arbeitspaketen konzentriert sich unseres auf die Akzeptanz der Verbraucher:innen. Also die Menschen, die die von HealthFerm entwickelten Produkte konsumieren werden. Unser Ziel ist es, unsere Zielgruppe zu identifizieren, ihre Ernährungsentscheidungen zu verstehen und die historischen oder traditionellen Faktoren zu erforschen, die Menschen dazu veranlasst haben, pflanzliche Lebensmittel zu essen – insbesondere fermentierte Lebensmittel auf pflanzlicher Basis. Unser Ziel ist es, diese Traditionen, Rezepte und Faktoren in den von uns entwickelten Produkten zu replizieren. Diesen Fragen gehen wir durch umfangreiche ethnographische Recherchen, Umfragen und Workshops mit unseren Zielgruppen nach. Und manchmal testen wir einfach, ob ihnen der Geschmack unserer Produkte gefällt.
Was die Akzeptanz von fermentierten Lebensmitteln auf pflanzlicher Basis betrifft, so ergab eine repräsentative Umfrage, dass 20% der Menschen in unserer Stichprobe von Europäer:innen bereits fermentierte Lebensmittel konsumieren oder ihre eigenen fermentieren! Wir finden diese Zahl bemerkenswert, da sie zeigt, dass fermentierte Lebensmittel nicht nur sehr nahrhaft sind, sondern auch von der Bevölkerung weitgehend akzeptiert werden. Dies stimmt uns optimistisch, dass die Produkte von HealthFerm von der breiten Öffentlichkeit gut angenommen werden.
Armandos eigenes Sauerteigbrot (Bild: Armando Perez-Cueto)
HealthFerm möchte dem Wandel hin zu nachhaltigeren, gesundheitsfördernden und schmackhaften Lebensmitteln beitragen. Gibt es bestimmte Ziele, die Sie sich persönlich erhoffen? Haben Sie brennende Fragen, die Sie beantworten möchten?
Ich habe eine 6-jährige Tochter, die die Auswirkungen des Klimawandels ihr ganzes Leben lang erleben wird. Wenn sie mich irgendwann fragen wird, wie ich dem Klimawandel beigetragen habe, möchte ich mit Würde sagen können, dass ich einen kohlenstoffarmen Lebensstil geführt und nach möglichen Lösungen gesucht habe. Wenn ich mir den aktuellen Zustand unseres Ernährungssystems anschaue, bin ich zutiefst besorgt über die überwältigenden Beweise für die Auswirkungen dieses Systems auf die Umwelt. Zum Beispiel auf die in jüngster Zeit überschrittenen planetaren Grenzen. Die Landwirtschaft ist eine Hauptquelle für Treibhausgasemissionen und Entwaldung. Meine Expertise liegt im Bereich Lebensmittel, daher ist es meine Priorität, dieses Problem anzugehen und zu einem gross angelegten Wandel beizutragen. Veränderungen können jedoch nicht erzwungen werden; Sie müssen einfach und attraktiv gestaltet werden. Wir brauchen Lösungen, die sowohl die persönliche als auch die planetare Gesundheit fördern und gleichzeitig Spass machen. Viele Menschen lieben zum Beispiel den Geschmack von Umami, weshalb es ihnen schwerfällt, auf Fleisch zu verzichten. Traditionell haben wir jedoch Möglichkeiten gefunden, Umami in Gerichte zu integrieren, wie z. B. durch die Verwendung von Sojasauce oder Sofrito. Mit HealthFerm, insbesondere durch unser Arbeitspaket, wollen wir herausfinden, was Menschen dazu motiviert, ihre Ernährung umzustellen. Es reicht nicht aus, einfach nur eine bessere Gesundheit zu versprechen. Veränderung muss Spass machen und insgesamt eine positive Erfahrung sein.
Das positive Erlebnis von Lebensmitteln wird oft durch seinen sozialen Aspekt angetrieben. Warum grillen so viele Menschen gerne? Weil es Spass macht! Bei gutem Wetter mit Freunden und Familie im Freien zu essen, schafft eine fröhliche Atmosphäre. Wenn diese Faktoren zusammenkommen, sind die Menschen offener dafür, ihre Fleischwurst gegen pflanzliche Optionen einzutauschen. Vor kurzem haben wir eine Veranstaltung veranstaltet, bei der alle unsere Gäste ein komplett veganes Barbecue genossen haben. Niemand vermisste das Fleisch und alle hatten eine tolle Zeit. Das ist die Art von Erfahrung, die wir fördern wollen!
Gibt es etwas, das Sie bisher überrascht hat?
Ich führe seit 15 Jahren Verbraucher:innenbefragungen durch. In den ersten Jahren bezeichnete sich nur ein kleiner Prozentsatz der Befragten, etwa 5%, als Vegetarier. Um 2017 herum begannen wir das Aufkommen von "Flexitarier:innen" zu beobachten. Diese Personen konsumieren hauptsächlich pflanzliche Lebensmittel, essen aber gelegentlich auch Fleisch. Sie bezeichnen sich weder als Vegetarier noch als regelmässige Fleischesser, da sie sich der Problematik des konventionellen Fleischkonsums bewusst sind und ihre achtsamen Essgewohnheiten betonen wollen.
Nun kommt’s: Heute ist die Zahl der Menschen, die sich als Flexitarier:innen identifizieren, deutlich zurückgegangen. Das liegt nicht daran, dass die Menschen wieder mehr Fleisch essen, sondern daran, dass der bewusste Fleischkonsum so normal geworden ist, dass weniger Menschen das Bedürfnis verspüren, sich von Omnivor:innen abzugrenzen, die viel Fleisch essen. Tatsächlich konsumieren 27 % aller Omnivor:innen weniger als einmal pro Woche Fleisch! Menschen können sich als Fleisch- oder Allesfresser:innen identifizieren, ohne erklären zu müssen, dass sie selten Fleisch essen. Das ist zu einer neuen Norm geworden, und ich hoffe, dass sie in Zukunft weiter wachsen wird.
Erzählen Sie uns etwas über den Ansatz von HealthFerm, der auf Partizipation setzt. Wie profitieren Sie und die Teilnehmenden davon?
Wenn wir es mit einer Ernährungsumstellung ernst meinen, können wir uns nicht auf einen Top-down-Ansatz verlassen. Partizipative Prozesse ermöglichen es den Menschen, sich den Prozess und die Ergebnisse eigen zu machen – dies schafft Üeberzeugung. Aber noch wichtiger ist, dass die Machbarkeit der Ernährungsumstellung kampferprobt wurde, bevor sie der Öffentlichkeit vorgestellt wurde!
Unterricht im Bildungsrestaurant der Universität Umeå (Bild: Armando Perez-Cueto)
Haben Sie Empfehlungen für Forschende, die ein eigenes Citizen-Science-Projekt auf die Beine stellen wollen?
Es ist wichtig, dass Sie sich darüber im Klaren sind, was Sie herausfinden und erreichen wollen und wo es sinnvoll ist, die Öffentlichkeit in die Schaffung dieses Wissens und das Erreichen eines gewünschten Ergebnisses einzubeziehen. Zum Beispiel wäre es nicht praktikabel gewesen, die Teilnehmenden in die DNA-Sequenzierung für die Ziele von HealthFerm einzubeziehen. Sie in der Bedienung der Maschinen zu schulen, hätte viel Zeit und Ressourcen erfordert, während wir bereits über qualifizierte Wissenschaftler:innen verfügen. In Bereichen, in denen die Teilnehmenden aus der Öffentlichkeit die Experten sind – wie z. B. bei Sauerteigstartern, Ernährungsvorlieben, Rezepten und anderem Alltagswissen – haben wir jedoch dafür gesorgt, dass sie den optimalen Rahmen vorfinden, um ihr Wissen einzubringen.
Das bedeutet nicht, dass jedes partizipative Projekt mit Annahmen darüber beginnen sollte, wer ein:e Expert:in in welchem Bereich ist. In einem anderen Kontext könnte es tatsächlich sinnvoll sein, Bürger:innen in DNA-Sequenzierung zu schulen, wenn damit ein langfristiges Projekt ermöglicht wird, das auch ohne Beteiligung von institutionellen Forschenden weiterlaufen sollte. Wie ich bereits erwähnt habe, sollten Sie sich darüber im Klaren sein, was Sie lernen und erreichen wollen und wo es sinnvoll ist, die Bürger:innen in die Schaffung dieses Wissens einzubeziehen. Beziehen Sie im Zweifelsfall Ihre Zielgruppe von Anfang an mit ein, um diese Fragen zu beantworten!
Über den Interviewten
Armando Perez-Cueto ist Professor für Lebensmittel-, Ernährungs- und Kochwissenschaft und Leiter der Forschungsgruppe Sustainable Food Transitions an der Universität Umeå. Seine Arbeit konzentriert sich auf das Verständnis des Warum und Warum nicht, das eine Verschiebung des Mainstreams hin zu einer überwiegend - wenn nicht sogar ausschließlich - pflanzlichen Ernährung unterstützen würde. Im Moment leitet er die Verbraucherstudien von HealthFerm.
Bild: Mattias Pettersson